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Hartes Brot

veröffentlicht in der Kick’n’Roll Nr. 18, November 97

Rezensionen sind ein knifflig Ding. Maßt sich da doch jemand an, seine Meinung über das Werk eines Künstlers der Öffentlichkeit kundzutun. Was qualifiziert den Rezensenten zu seiner Tätigkeit? Frank Doerr hat sich einige Gedanken gemacht.

Die Regierung läßt uns wieder mal im Stich. Kein Studium führt zum Dipl. rezens., keine Ausbildungsverordnung zum Rezensionsfachgehilfen. Bei der Kick’n’Roll qualifiziert sich jemand dazu durch sein langjähriges Dasein als Musikkonsument und Musiker, und die phantastische Fähigkeit, seine Gedanken in Worte zu fassen. Dann sollte der Schreiber versuchen, soweit wie möglich objektiv zu sein oder der eigenen Subjektivität erkennbar Ausdruck zu verleihen.

Aus der „Szene“ drangen nun schon äußerst widersprüchliche Aussagen zu uns vor: „Die Kick’n’Roll schreibt ja immer nur positiv, die Kritiken sind nichts wert“ vs. „Alle beschweren sich, daß ihr zu negativ urteilt“ vs. „Euer Geschreibe liest eh keiner“. Hm. Watt’n nu?

Ich bespreche eine CD, indem ich sie auf den Boden lege, rundherum Räucherwerk entzünde, geometrische Figuren male, wild herumfuchtele und hebräisch stammele. Wenn die Band kurz darauf einen Majordeal einsackt, hatte ich Erfolg. Rezensieren ist schon schwieriger.

Ich höre mir den jeweiligen Tonträger mehrmals an, und ebenso oft wird die entsprechende Kritik überarbeitet, bis ich denke, daß sie stimmig ist. Viel Aufwand für ein paar Mark, aber ich möchte sicher sein, hinter dem stehen zu können, was gedruckt wird. Bei einer Schülerband lege ich andere Maßstäbe an als bei langjährigen Profis. Und wenn jemand behauptet, daß seine CD „vom Feinsten“ ist, und es sich dabei nicht erkennbar um einen Joke handelt, dann muß er damit rechnen, an dieser Selbstaussage gemessen zu werden.

Dumm gelaufen, wenn dann – wie in der letzten Ausgabe geschehen – dieser jemand kurz vor Drucklegung die Rezension seiner CD gestoppt haben will, weil sie nicht gnadenlos positiv ausgefallen ist, und sein Werk ja überhaupt nie bei uns landen sollte. Ein Gegenlesen, um sein Placet zum Abdruck zu geben, lieber Lars Niedereichholz, sollte bei Interviews die Regel sein, aber nicht bei Rezensionen. Wir sollten uns schon bemühen, ein wenig Pressefreiheit zu erhalten. Wir sind keine Paparazzi, drängen uns niemandem auf, betreiben aber auch keine Hofberichterstattung.

Da mehrere Faktoren zusammentrafen, fand ich meine Rezension von „Mundstuhl“ in der letzten Ausgabe nicht vor. Dies sollte die Ausnahme bleiben. Meine Kohle erhielt ich trotzdem. Wenn dies Gehabe aber einreißt…? Werde ich dann zu einer Art EG-Bauern, der für jeden Artikel bezahlt wird, den er nicht schreibt? Ja, werdet ihr Musiker gar irgendwann dafür blechen, daß die Kick’n’Roll nicht mehr erscheint?

Leute, wenn ihr uns einen Tonträger schickt, dann seid auch bereit, euch der möglichen Kritik zu stellen. Wir sollen den hiesigen Bands eine Plattform bieten, aber niemandem ist geholfen, wenn wir alle in den Himmel jubeln. Und vor gnadenloser, unbegründeter Runtermache bewahre uns Lester Bangs.

In diesem Sinne.

Loewenherz / Frisbee

Autor: Loewenherz / Frisbee

Mit acht Jahren Klavierunterricht, ab 18 E-Gitarre und Bassgitarre. 1983 erste Band. Erster Tonträger 1989 (MC VenDease live). Lehrer für Bassgitarre. Musik-Journalist beim Fachmagazin "the Bass" (vorher: "Der rasende Bass-Bote") & dem hessischen Musikermagazin Kick'n'Roll. Musik-Projekte in Offenbach und Frankfurt mit Jugendlichen aus sozialen Brennpunkten. Gesangsunterricht im Bereich funktionaler Stimmbildung nach Lichtenberg und Reid mit Studium klassischer Literatur. Diplomarbeit zum Thema "Musikimprovisation in der Sozialpädagogik". Seit 1996 sporadische Auftritte mit meist improvisiertem Charakter. Bands: Bernstyn, Procyon, Uwe Peter Bande, Ven Dease (Saarland) sowie Reality Liberation Front, PLK, Valis (Frankfurt). Live-Mixer bei Lay de Fear.

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