Es gibt eine archaische Verbindung zwischen Musik und Sprache,
doch ob Melodiezeichen zu Wörtern führten oder Wortbildungen Melodien auslösten ist ungeklärt. In primitiven Sprachkulturen hat die Sprachmelodie eine größere Bedeutung als in sogenannten zivilisierten Sprachen, ja, sie wird bei uns teilweise völlig verdrängt; bestes Beispiel sind die Nachrichten in Radio und Fernsehen: dort wird die reine Information „so hoch bewertet, daß dabei die subjektive Betonung verschwindet.“ (HEGI, 98)
Lebendige Melodie besteht
nicht im Auf und Ab einer Tonfolge, sondern entsteht durch „die Betonung, das Hervorheben von wichtigen und das Zurücksetzen von unwichtigen Tönen, das Anheben und Absenken der Stimme, die Wiederholung oder das Weglassen, die Entscheidung für eine Bedeutung, die Emotionalisierung einer betimmten Stelle (…)“ (HEGI, 98f)
„Melodie drückt musikalisch eine Meinung aus.“(HEGI, 99) „Sie erzählt Haltungen, Traditionen, Weisheiten, sie drückt Phantasie, Vorstellungskraft, Bilder aus, sie vermittelt Überzeugung, Leidenschaft, Glauben, und sie gibt einer Musikkultur Gesicht.“ (HEGI, 100)
„Ein Elementarteil einer Melodie ist ein Intervall,
der Sprung von einem Ton zu einem zweiten.“ (HEGI, 118) Der Charakter der Intervalle gibt Aufschluß über die Melodie, die auch im Hinblick auf Kontraste wie Verlauf (auf-ab), Dynamik (laut-leise), Ausdehnung (eng-weit) und Tempo (langsam-schnell) als auch Überraschungen wie Wiederholung, Tonraumwechsel, Taktwechsel und Spiegelung untersucht werden kann, die Rückschlüsse auf die Psyche des Improvisierenden zulassen.
„Die Musiktherapie hat im Melodienverständnis die einzigartige Chance, Meinungen, Ansichten, Haltungen usw., die aus der unbewußten oder verschütteten Tiefe der Empfindung kommen und meist indirekt, analog ausgedrückt werden, zu hören und sie ins reale Bewußtsein zu übersetzen.“ (HEGI, 104) Vor allem das Melodienspiel vermag in der MI die verschüttete Fähigkeit wieder entdecken zu helfen, der eigenen inneren Musik zuzuhören und „die Ware Musik in den Prozeß Musik zurüchzuverwandeln.“ (HEGI, 114)
„Eine Melodie (Meinung) haben und sie gleichzeitig sein,
in ihr leben und spüren, was die Bewegung und Betonung der Melodie jetzt bedeutet, das ist Bewußtheit.“ (HEGI, 114)